Das Buch Christentum und Weltreligion - Hinduismus von Hans Küng und Heinrich von Stietencron (ISBN 3-492-12055-5) stellt den Hinduismus vor und beleuchtet diesen dann aus Sicht eines christlichen Theologen. Dabei fiel mir eine konstruktive selbstkritische Darstellung auf. - Die europäisch geprägte Kenntnis der Geschichte wird mit diesen Kenntnissen wesentlich bereichert.
Der Begriff Hinduismus ist europäisch geprägt. Es ist ein Sammelbegriff. Tatsächlich gibt es den Hinduismus als Religion, vergleichbar mit dem Christentum, nicht. Es gibt bestimmte Bücher, Verse, gesammelt im Altertum vergleichbar mit dem Kanon des alten Testamentes (Veden, Upanishaden) und eine breite moderne Tradition. Die unter Hinduismus zusammengefassten religiösen Strömungen zeichnen sich durch Vielfachheit und gegenseitige Toleranz aus. Das Christentum dagegen, auch der Islam und das Judentum, ist geprägt eher von Abgrenzung und Konfrontation.
Die alte indische Sprache ist Sanskrit, vergleichbar mit dem Latein in Europa. Was ist das gemeinsame und besondere an hinduistischen Religionen: Die Wurzeln liegen in der alten Induskultur 3.-2. Jahrtausend vor Christus. Um ca. 1000 v.Chr. ist die Kanonisierung des Rigveda abgeschlossen, vergleichbar mit Teilen des alten Testametes (Mose-Bücher) etwa zur gleichen Zeit des König David in Israel. Die Religionshüter waren die Brahmanen. Danach gab es angeregt durch Druck und Entwicklung in der Gesellschaft eine Öffnung für religiöse Bedürfnisse und Traditionen (S. 42) eine Weiterentwicklung, die sich die Frage nach der Lebensseele und dem Bewußtsein des Menschen ... nach der endgültigen Erlösung aus dem Kreislauf des Daseins stellte. Zugleich hatte die Entwicklung wissenschaftlichen Denkens in der spätvedischen Periode zu ...einer neuen Skepsis geführt. Interessanterweise trifft das genau die Periode, in der auch in Griechenland die Philosophie aufblühte. Die Kulturen kannten auch einander, zwar nicht so eng wie heute. Das Perserreich um 500-300 und die Eroberungen Alexander von Makedonien reichten bis Indien.
Einer der neuen Religionsstifter damals war Gautame, der Buddha (Erwachte), dessen Lehre die Grundlage des Buddhismus wurde. (S. 43). Ein anderer bedeutender war Mahavira, der Jina (Sieger), der eine streng asketische Lebensweise wollte. Beide lehnten die Autorität der Veden ab, greifen die schon in den Brahmanas und Upanishaden entwickelte Wiedergeburts- und Karmanlehre auf und bauen sie systematisch aus. ... Selbsterlösung durch Wissen wird zum zentralen Erlösungsweg. Erfahrung meditativer Schau (Erlebnis oder Vision), kombiniert mit den aus solcher Erfahrung resultierten Erkenntnissen (Reflexion), bewirkt auch eine Bewußtseinsveränderung, welche neue Dimensionen der Wahrnehmung und der Erkennung erschließt. (S. 44). Dieses und die Einheit vom individuellem und absolutem Sein aus spätvedischer Tradition verbinden sich kurz nach der Mitte des 1. Jahrtausends vor Christus zu einer der Grundlagen indischer Religion. (S. 44).
Christliche Einflüsse in Indien gab es. Auch im Christentum, insbesondere in der Bergpredigt, haben die Inder Elemente ihres eigenen Glaubens wiedergefunden. (S. 50). Der Apostel Thomas soll nach einem Bericht als Sklave zu Schiff nach Indien gelangt sein.
Wie sind die indischen Religionen in Europa aufgenommen worden? Europa war wohl sehr mit sich selbst beschäftigt: Zerfall des Römischen Reiches, Einwanderung der Goten, Bildung neuer europäischer Staaten, Entdeckung und Unterwerfung der Welt. ... Das Christentum hat Fuß gefasst eher weniger aufgrund seiner religiösen Aussagen, vielleicht mehr als Machtstütze der gesellschaftlichen Verhältnisse. Der Autor Hans Küng spricht von institutionalisierter Starre ihres eigenen Christentums (S. 53). Auf S. 56: Während die Aufklärung im Jahrhundert zuvor eine Affinität zum rational-kühlen chinesischen Konfuzianismus erkannt hatte, entdeckte jetzt die Romantik eine tiefe Verwandschaft mit der geheimnisvollen indischen Geistigkeit. In Deutschland hatte zuerst der große Anreger Johann Gottfried Herder auf die eigenständige und unbedingt zu erhaltende indische Philosophie, religiöse Dichtung und Kunst sowie auf die Berechtigung jeglichen Volkes auf eine eigene Kultur und Religion aufmerksam gemacht. Das war vor knapp 200 Jahren, die Romantik sah das Ich vereint in der Natur- und Weltenseele. Doch das konkrete Wissen über die indische Denkweise war doch nur punktuell vorhanden. Heute gibt es Gurus, Diffusion des Religiösen und anderes, aber keine wirkliche Erfassung der indischen Lebenssicht. Der Gründer der Anthroposophie, Rudolf Steiner, hat jedoch auch, vielleicht insbesonder in seinen Ausführungen über Seele, Geist und Karma an diesen indischen Geist aufgespürt und aufgenommen. Aber leider ist den meisten Mitmenschen auch diese Sicht kaum bekannt.