Rudolf Steiner hat von 1861 bis 1925 gelebt und ist Begründer der Anthroposophie. Alle anderen exakt historischen Fakten kann man in diversen Nachschlagewerken oder Schriften über Steiner besser nachlesen als ich es hier darzustellen vermag. In diesem Artikel möchte ich eher der Denkweise Steiners nachgehen, aus eigenen Impulsen - Inspirationen.
Steiner hat Antworten auf die großen Fragen geben wollen. Er hat sich intensiv mit Philosophie beschäftigt und kannte Denkweisen der vergangenen Jahrhunderte. Er stellte einiges im anderen Licht dar als es der typischen Denke seiner Zeit entsprach.
Eine noch heute unbeantwortete Frage ist die, ob der Mensch frei sei für eigene Entscheidungen. Heute wird in erster Linie aus den Kreisen der Gehirnforschung die Meinung verbreitet, der Mensch sei eher ein Sklave seiner bioglogisch-psychologischen Funktionen als freier Entscheider. In älteren Zeiten und Religionen wird die Frage nach der Freiheit des Menschen mit der Abhängigkeit von einem Weltenschöpfer beantwortet - Der Mensch ist Gottes Spiel. Rudolf Steiners Antwort fällt eindeutig anders aus: Der Mensch ist zur Freiheit berufen. Freilich sind die Nuancen zu beachten. Freiheit ist nicht: Willkürliche Entscheidung. Freiheit steht in dialektischer Beziehung zur Abhängigkeit - Freiheit und Abhängigkeit bilden eine Einheit. "Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit" - sagte ein Anderer, Karl Marx, gar nicht so sehr im Unterschied zu Steiner.
Die Antwort "Der Mensch ist zur Freiheit berufen" zieht einiges nach sich, insbesondere auf religiösem Gebiet: Keine Abhängigkeit von einem Gott. Die typisch christliche Antwort ist eher: Der Mensch ist von der Gnade Gottes abhängig.
Wie ist es mit Gott? Zu Steiners Zeiten ging ein Gespenst um in Europa - das Gespenst des Materialismus. Vielleicht ist es gar nicht Karl Marx, der mit diesem Attribut als erster zu belegen sei - die ganze Denke der Zeit ist davon geprägt. Siegmund Freud, Zeitgenosse Steiners, kam zu der Aussage "Religion ist eine im Ösipuskomplex begründete Neurose ...". Vielleicht war es auch in erster Linie Ernst Haeckel (1834 bis 1919), der mit der Abstammungslehre des Menschen, Charles Darwin (1809 bis 1882) folgend, Schluss gemacht hat mit dem Glauben an die Schöpfungsgeschichte - Adam und Eva, und an Gott. Rudolf Steiners Antwort fällt hier wieder anders und eindeutig aus. Er sieht den Menschen als physische Existenz eingebunden in eine geistige Existenz. Dabei ist ihm die Betonung der Wissenschaftlichkeit dieser Sicht wichtig. Wohl auch deshalb, weil "Wissenschaftlichkeit" damals wie heute zuerst mit materialistischen Maßstäben gemessen wurde und wird, alles was mit Religiösität zu tun hat wird in die Ecke des "man kann daran glauben" gesteckt. Das reicht Steiner nicht. Wenn man die von Steiner gemeinte Wissenschafttlichkeit mit den für die materialistische Wissenschaftlichkeit gültigen Regeln misst, kommt man nicht hin. Die Frage der Wahrheit kann aber aus verschiedenen Sichten beantwortet werden. Eine derer ist "Wahrheit ist das, was gedanklich nachvollziehbar und für die Praxis tauglich ist", eine Aussage die typisch rationalistisch geprägt ist gegenüber der empirischen Definition "Wahrheit ist das, was unter gleichen Bedingungen wiederkehrend nachweisbar ist". Letztere Aussage ist die Basis der wissenschaftlichen Wahrheit, wie sie heute erwartet wird, erster Aussage ist nicht nur Steiners Denke, sondern auch die der großen Rationalisten der Geschichte wie beispielsweise René Descartes (1596 bis 1650).
Gegenüber der typisch christlichen Auffassung der "Auferstehung von den Toten und das ewige Leben" (Zitat aus dem christlichem Glaubensbekenntnis) - dem einmaligem Leben auf Erden und dem ewigen Leben (im Himmel?) gab Steiner die Antwort, die auch in hinduistischer Tradition zu finden ist - Karma und Wiedergeburt. Das passt zu der Anschauung der Einbindung des physischen Lebens des Menschen in eine geistige Existenz. Damit ergibt sich eine vollständige Antwort Rudolf Steiners zum Wesen und zur Bestimmung des Menschen / der Menschheit.
Hat sich Rudolf Steiner auch in manchen Dingen geirrt? Von Rudolf Steiner wird auch gesagt, er sei hellsichtig gewesen. Was ist Hellsichtigkeit?
Aus Sicht jemandes, der gern zu Autoritäten aufschaut (mehr oder weniger ist das uns allen eigen), erscheint Steiner in seiner Art, klare Antworten zu geben, als hellsichtig. Steiner steht aber in die Reihe derer uns namentlich bekannter Personen, angefangen mit Platon und Aristoteles, die eben klare und große Antworten gefunden haben. Die Großen jeder Zeit haben sich in manchen Dingen auch geirrt. Jeder von Ihnen hat sein philosophisches Steckenpferd gehabt, mit dem er womöglich in den falschen Gründen umhergeritten ist. Auch Platon, auch Aristoteles.
Rudolf Steiner hat sich stark für die Entwicklungsgeschichte der Menschheit interessiert. Eine Grundwahrheit im steinerschen Sinne ist die Höherentwicklung des Menschen vom zunächst mehr naturverbundenem zum geistigen Wesen. In dieser Entwicklung durchschreitet der Mensch als Wesen die Hüllen vom physischen zum geistigen (Lebensleib ->Empfindungsseele ->Bewußtseinsseele ... -> Geistmensch). Für seine Ideen fand Steiner in der Theosophischen Gesellschaft von Helena Petrovna Blavatsky (1831 bis 1891) eine mögliche Basis der Verbreitung. Allerdings wartete die Theosophische Gesellschaft ebenfalls mit einer Reihe von Anschauungen und Ideen auf. Atlantis, die geheimnisumwobene Insel, die sich Platon wahrscheinlich nur als Beispiel für seinen Musterstaat ausgedacht hatte, geriet in den Fokus des Interesses als Wahrheit der Altgeschichte der Menschheit. Akasha - Das Wissen um die Wahrheit des Kosmos, war von Helena Petrovna Blavatsky bereits besetzt und von Steiner aufgegriffen. Steiner hat sich dann unter Anderem auch für diese Richtung stark engagiert, es sind uns viele Vorträge erhalten geblieben. Die Entwicklung der Menschheit ist in Zeitalter und Kulturepochen eingeteilt, Wurzelrassen spielen eine entscheidende Rolle. - Wie bei allen Personen der Vergangenheit sollte man auch bei Steiner - in der Rudolf Steiners eigenen Art - hinterfragen, ob den alles, was er je gesagt hat, zutrifft. Auch sollte man kritisch zu Schlußfolgerungen aus falsch verstandenen Äußerungen sein. Steiner selbst äußert seine Gedanken immer mit einer bestimmten Vorsicht: "Um einem möglichen Irrtum vorzubeugen, sei hier gleich gesagt, daß auch der geistigen Anschauung keine Unfehlbarkeit innewohnt. Auch diese Anschauung kann sich täuschen, kann ungenau, schief, verkehrt sehen. Von Irrtum frei ist auch auf diesem Felde kein Mensch; und stünde er noch so hoch. Deshalb soll man sich nicht daran stoßen, wenn Mitteilungen, die aus solchen geistigen Quellen stammen, nicht immer völlig Übereinstimmen." (Quelle: www.anthroposophie.net/steiner/ga/bib_steiner_ga_011_01.htm). Nehmen wir die Sache doch so: Jeder Künstler hat ein Recht darauf, in einem Bild, Musikwerk oder anders geeignet Gedanken auszusprechen. Sie sind Wahrheit in soweit, wie der Künstler sie sieht - und wie wir Rezipienten sie sehen wollen. Dieses Recht sollten wir auch Rudolf Steiner zusprechen, und allen, die in der Beschäftigung mit solchen Themen Dinge finden. Die Wahrheiten sind vielschichtig. Interessante Gedanken dazu siehe auch www.kersti.de.
In seinem Spätwerk will Rudolf Steiner sein Denken in konkrete Ergebnisse umsetzen. Er vollzog die Trennung von der Theosophischen Gesellschaft und gründetet die Anthroposophische Gesellschaft (Anthroposophie = Menschenweisheit versus. Weisheit von den Göttern und Gott). Das Goetheanum in Dornach (Schweiz) ist sein Denkmal, selbst entworfen, trotz des Brandes in der Silvesternacht 1922/23 wiederaufgebaut. Er gründete mit Emil Molt die erste Waldorfschule, gründete mit die erste ökologisch orientierte Landwirtschaft und Produktlinie Demeter, gründete 1922 mit Friedrich Rittelmeyer und 45 weiteren Theologen die Christengemeinschaft. Alle seine Gründungen wurden bis heute fortgesetzt.
***** www.vishia.de/Leben/Steiner.html, letzte Aktualisierung: 2006-März-07 =>home