Die Erwartung der Engel


Folgender Inhalt ist frei nach dem Buch "Die Erwartung der Engel" von Wolf-Ulrich Klünker, ISBN 3-7725-1143-0.

In den früheren Zeiten hat sich der Mensch weniger selbstbewußt der Natur gegenüber gesehen. Er hat seine eigenen geistigen Kräfte wohl gespürt, aber die Kräfte der Natur ganzheitlich empfunden. Das Bewußtsein, es gibt da für mich einen persönlichen Engel, war vorhanden. Damit verbunden war das Bewußtsein, dass der einzelne Mensch zwar nur ein Rädchen im Getriebe, doch im Getriebe der großen Welt verankert ist.

Beginnend mit der Zeit der Aufklärung und gipfelnd im technisierten 20 Jahrhundert ist die Empfindung, es gibt da einen Engel, zurückgetreten. Der Mensch hat sich emanzipiert und den Engel aus seinen Gedanken verdrängt. Gegensätzliche Strömungen der Hinwendung zu moderner Mystik können dies nur unterstreichen, denn es ist ein Ersatz, der da gesucht wird. Der Mensch empfindet sich aber dadurch als vereinsamt, zufälliges Staubkorn im Weltall, Gedanken werden nur als eigene betrachtet und stark individualisiert. Die Anerkennung einer geistigen Welt ist lediglich Annahme oder Glaube, nicht mehr primäre Empfindung. Das wird im Buch im Kapitel "Der Verlust des Engels" beschrieben.

Doch die geistige Emanzipation des Menschen ist unumkehrbar und hat ein Gutes. Damit kann der physische Mensch letzlich dem Engel mehr geben als der Engel dem Menschen, beide rücken näher zusammen. Die Engel "erwarten" also etwas von uns, diese Idee gibt dem Buch den Titel.

Im Kapitel "Der Traum" wird das, was 1/3 des Tages ausmacht, auch aus Sicht der modernen Forschung beleuchtet. Im Traum können wir unmittelbarer mit unserem Engel verbunden sein. Vermittels des Traumes, der oft mit dem Unbewußtem verankert ist, kann der Engel zu uns sprechen. Es gibt die Tiefschlafphase, scheinbar traumlos...

Auf S. 31 heißt es etwa „Im Traum wird eine geistige Kraft erlebbar, die den Träumer für die unmittelbare Erlebnissituation an das Traumgeschehen bindet ...“ Im Tagesbewußtsein wirkt Wahrnehmen, Vorstellen und Erinnern zunächst unabhängig voneinander, gebunden an das Tagesgeschehen. Im Traum ist diese Kraft mehr an das Vorstellen gebunden, sie ist keinesfalls dreigeteilt wie im Tagesbewußtsein. Es ist oft eher Weltgeschehen bzw. Welterleben und zeitlos (oft träumt man Dinge, die erst später einen Bezug zur Wirklichkeit bekommen). Daher die Idee der Verbundenheit mit der geistigen Welt.

Auf S. 32 nun die erste konkrete Handlungsanleitung: „Durch kontinuierliche Willensanstrengung kann nun allmählich bewirkt werden, dass Wahrnehmung, Vorstellung und Erinnerung auch für das Tageserleben tendenziell eine Einheit bilden und damit dem Traumgeschehen näher kommen. Dieser Entwicklungsvorgang entspricht der Geistselbst-Ebene, auf der der Engel anzutreffen ist. Auf ihr zeigt sich, dass die Sinneswahrnehmung keine Aufnahme von äußeren Fakten ist; dass die Verarbeitung der Welterfahrung zu Vorstellungen starke Willens- und Phantasieanteile besitzt; dass der Erinnerungsprozess ... die Zukunft gegenwärtiger Wahrnehmung und Vorstellungsbildung ist.“ - Also Umstellung des Denkens, damit man seinem Engel näher ist.

Ich frage mich immer nach dem praktischen Nutzen solcher Überlegungen. Für mich ist ein Thema: Einbringen in die Welt. Manche guten Gedanken bleiben auf der Strecke, werden nicht realisiert, weil man nicht genügend Anschub geleistet hat, dass etwas weiter geführt wird, von Anderen. Demzufolge hat man nicht das Richtige getan, die Gedanken zu verbreiten. Vorausgesetzt sei, dass die Gedanken an sich richtig sind. Die Ausstrahlung auf Andere ... Kann da eine tiefere Verbindung mit dem Engel helfen - möglich schon.

Begegnung mit dem Engel

Begegnung mit dem Engel im Traum - das ist fast schon logisch. Doch auch in der Natur tritt uns der Engel unmittelbar entgegen, wenn wir in spüren wollen. Sieht man die Natur nur physisch-biologisch, dann nicht. Die Natur atmen zu können, ihre täglichen Besonderheiten zu spüren, uns hineingesetzt fühlen und uns dort wiederfinden: dann schon eher. Wichtig ist unser Wirken in der Natur. Benutzen und ausnutzen wir sie nur, dann lassen wir den Engel links liegen. Pflegen wir sie, dann ist es das, was wir tun sollen.

S. 51: „Eine gegenüber dem Menschen verselbstständigte Natur wirkt innerhalb und außerhalb des Menschen pathogen. ... bildet einen Kraftzusammenhang außerhalb des Menschen, der diesem als fremde Gegenkraft begegnen kann.“ - Bedrohungsempfinden der Natur oder Depressionsstimmungen - beides ist damit gemeint.

Das Schicksal (S. 56) - Schicksal ist nicht, wie oft verstanden, das Dahinnehmen einer Bestimmung, sondern die eigene Gestaltung, nachdem der eigene rote Faden oder die eigene Stellung in der Welt erkannt worden ist. Insbesondere hier ist die Verbindung zum Engel wichtig. Klünker redet vom Spannungsbogen zwischen Körper und geistigem Dasein. Beide müssen verbunden bleiben, und die Verbindung hat (muss haben) eine Spannung.

S. 66: „Wenn der Geist ohne Bezugnahme auf die Wirklichkeit des Leibes verstanden wird, droht er unwillkürlich, illusionär zu werden; wenn der Leib ohne Geistbeziehung aufgefasst wird, scheinen in ihm nur die blinden Kräfte der Natur zu wirken.“

Den Kontakt zu unserem Engel erleben wir nur in Grenzsituationen, nicht wenn es uns gut geht und wir uns das gut gefallen lassen. S 65: „Die Verstärkung der Aufmerksamkeit im Denken bis zum Bewußtwerden einer gewissen Aussichtslosigkeit, im Fühlen bis zum Eindruck der Sprachlosigkeit, im Wollen bis zu dem Eindruck eines Schocks stellt eine geistige Sensibilität dafür her, ... „

Viele Menschen drängt es nach Grenzsituationen. Grenzsituationen können ein ungehemmter Alkoholgenuss oder Bunjee-jumping sein (Manchem drängt es als einzige Erfüllung dorthin). Aber auch das Selbst-Stellen von Aufgaben, die an die Grenze heranführen, sei es als physische Anspannung, oder in Auseinandersetzung mit Anderen, um die erkannten Ideale zu vermitteln. Hier komme ich wieder auf Jesus: Er hat bewusst den Einzug nach Jerusalem gewählt, auf einem Esel, wie es in den Prophetenbüchern steht. Wohlwissend, dass das extrem ist. Im Garten Gethsemani hat er dann gebetet „Vater, lass diesen Kelch an mir vorübergehen“ - aber das Extrema war schon gewählt. Wäre es nicht so gewesen, würden wir vielleicht seine Botschaft heute nach 2000 Jahren nicht kennen.

Grenzsituationen ausgesetzt sein, um Anerkennung ringen müssen, Enttäuschungen hinnehmen, obwohl man es nicht will: Es gehört dazu. Wer etwas bewegen oder erreichen will, muss sich dem aussetzen. Es hilft nichts. Die andere Wahl wäre: Leben in Eintracht mit den Umständen, ein angepasstes Leben führen. Dann ist der Engel fern und wir werden unserem Schicksal nicht gerecht. Trotzdem sehne ich mich danach, auch einmal anzukommen, Frieden zu finden, auszuspannen.

Mensch und Engel

„Die Erwartung der Engel“ - Der Grundgedanke dieses Buches ist, dass wir heute mehr Bewußtsein aufbringen müssen und die Stelle des Engels, der früher uns begleitet und geschützt hat, selbst ausfüllen müssen. S. 84: „In dem geistigen Zusammentreffen mit dem Engel ereignet sich aber auf jeden Fall eine gewisse Übergabe - nämlich der Verantwortung, die bislang der Engel für Leib, Seele und biografischen Verlauf des betreffenden Menschen innehatte.“

S. 85: „Durch die menschliche und kosmische Entwicklung, in der sich auch die Beziehung des Engels zum Menschen verändert hat, ist das alte Einweihungsprinzip zum Lebensprinzip geworden.“ Einweihung, Initiation, meint den Prozess, der in früheren Zeiten nur Auserwählten möglich war und Einblick in die geistige Welt gab. Diese Auserwählten kannten die Wahrheiten der Welt (ein großes Wort ...), sie haben oft als Berater gewirkt, Kriege verhindert, .... Dies ist heute allen Menschen möglich. Eine solche Initiation kommt aber nicht plötzlich und spektakulär, sondern ist manchmal erst im nachhinein bemerkbar, ist eine leise Sache. Wichtige Begegnungen erweisen sich erst nach einiger Zeit als solche. Wie im vorigen Brief angedeutet ist die Initiation aber an Grenzerlebnisse gebunden, sie kann nicht erwartet werden im friedlichen Einklang mit allen Lebensumständen. Aus diesem Kapitel stammt auch der Satz „..., denn das Menschwerden des schöpferischen Geistes schlechthin, des Logos, ist mit den Ereignissen von Palästina vor 2000 Jahren nicht abgeschlossen, sondern hat damals gerade begonnen. ...“

S. 86: „Initiation bedeutet dann, die Schwelle zu erkennen und ein individuelles Geistverhältnis aufzubauen, das der früheren Aufgabe des Engels entspricht und zugleich den Menschen als eigenständiges geistiges Wesen dem Engel gegenüberstellt, ihn zum ‚Mitregenten‘ des Engels macht, wie Thomas von Aquin formulierte..“ „Anderenfalls ...“, dies ist im Buch länger ausgeführt, „... würde der Engel vom Menschen gezwungen, in eine dämonische Wirkungsweise überzugehen. ...geistig belebende Prinzip eines Leibes, dessen Entwicklung nicht mehr der Ich-Individuation des Menschen entspricht.“ Das Leben aus der Hand geben, sich leiten lassen von falschen oder Massen-Idealen, diese Gefahr ist durchaus heute sehr deutlich sichtbar. An dieser Stelle denke ich auch an die Meinung eines Sir David Hume mit seiner Meinung vom Ich, dem keine Grundpersön­lichkeit zuzuordnen wäre. Da ist natürlich nichts von einem Engel zu spüren, sondern eine Aufgabe der Seele und des Leibes in die Masse.

S. 90:„Aus der Genforschung ist bekannt, dass vererbte Merkmale des Leibes und der Seele insbesondere nach der Lebensmitte beginnen sich auszuprägen - es sei denn, der Mensch ist in der Lage, Eigenprägungen an ihre Stelle zu setzen.“ Dieser Satz enthält eine interessante Beobachtung: Erst nach der Lebensmitte fällt eine Ähnlichkeit auf - man wird wie seine Mutter oder sein Vater. Dieser Satz enthält aber auch eine Aufforderung: In der Mitte des Lebens hat man (frau) die Wahl - entweder man ergibt sich den Umständen, wartet auf die Rente, führt den Haushalt ordentlich, hat alle Ideale abgelegt, funktioniert im Rahmen des Gegebenen, oder man ergreift den roten Faden endlich und gestaltet sein Leben. Wie letzteres aussieht ist selbst zu finden, ist sehr unterschiedlich.

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